17 Februar

Europarechtswidrigkeit der gesetzlichen Kündigungsfrist (§ 622 BGB)

 

 

Das Praxisproblem:

Bei der Kündigung eines Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber die nach der Dauer der Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers gestaffelten Kündigungsfristen des  § 622 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen.

 

Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer waren bislang die Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht zu berücksichtigen.

Diese gesetzliche Regelung wurde auch in einer Vielzahl von Tarifverträgen sowie Arbeitsverträgen übernommen.

Trat ein Arbeitnehmer mit bereits 17 Jahren sein Ausbildungsverhältnis bei dem Arbeitgeber an, wurden die ersten acht Jahre der Beschäftigung bei der Berechnung der Kündigungsfristen nicht mit einbezogen.

Mit 27 Jahren und einer Beschäftigungszeit von zehn Jahren konnte dem Arbeitnehmer in der Vergangenheit mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden anstatt nach der tatsächlichen Beschäftigungsdauer mit viermonatiger Kündigungsfrist.

 

Die Entscheidung:

Nach der Entscheidung des EuGH vom 19.01.2010-C 555/077- sind die Kündigungsfristen gemäß § 622 Abs. 2 S. 2 BGB europarechtswidrig, soweit sie die Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr nicht berücksichtigen.

Nach Ansicht des EuGH enthält diese Bestimmung eine Altersdiskriminierung.

Da die europäischen Richtlinien keine unmittelbaren Rechtswirkungen gegenüber Privatpersonen enthalten, bliebe § 622 Abs. 2 S.2 BGB, obwohl dieser als europarechtswidrig angesehen wird, anwendbar.

Bis zu dem vorgenannten Urteil des EuGH haben die nationalen Arbeitsgerichte auf die Frage einer etwaigen Altersdiskriminierung des § 622 Abs. 2 S.2 BGB unterschiedlich reagiert, indem teilweise die Regelungen des § 622 Abs. 2 S.2 BGB nicht mehr angewandt wurde, teilweise wurde die Berechnung der Kündigungsfrist nach wie vor nach der gesetzlichen Regelung des § 622 Abs. 2 S.2 BGB berechnet.

Mit Urteil vom 19.01.2010 entschied der EuGH jedoch, dass die nationale Vorschrift des
§ 622 Abs. 2 BGB aufgrund seiner Europarechtswidrigkeit durch die nationalen Arbeitsgerichte nicht mehr anzuwenden sei und begründet dies damit, dass das Verbot der Altersdiskriminierung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts sei, der nationalen Regelungen vorgehe.

 

Die Praxisempfehlung:

Ob der Gesetzgeber die Regelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ersatzlos streichen wird, ist wegen der  ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welchem grundsätzlich die alleinige Normverwerfungskompetenz zusteht, noch nicht abschließend geklärt.

Unabhängig von der derzeit vorherrschenden Diskussion darüber, ob der EuGH zu viel Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung nimmt, werden die Arbeitsgerichte aufgrund der Entscheidung des EuGH die Beschäftigszeiten vor dem 25. Lebensjahr eines Arbeitnehmers bei der Berechnung von Kündigungsfristen berücksichtigen.

Arbeitgeber sollten folglich bei der Berechnung der Kündigungsfristen die gesamte Beschäftigungsdauer einschließlich der ggf. vorausgehenden Ausbildungszeit, unabhängig davon, ob diese vor dem 25. Lebensjahr des Arbeitnehmers liegt, heranziehen. Dies gilt sowohl bei der direkten Anwendbarkeit der gesetzlichen, als auch von einzelvertraglichen und tarifvertraglichen Kündigungsfristen.

Unser Team Arbeit und Recht steht Ihnen jederzeit beratend zur Verfügung.

Sprechen Sie uns an!

Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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