Sind An- und Abfahrtszeiten von Außendienstlern vergütungspflichtige Arbeitszeiten? Adobestock von Bernd Leitner
18 Februar

Sind An- und Abfahrtszeiten von Außendienstlern vergütungspflichtige Arbeitszeiten?

BAG, Urteil vom 18.03.2020, 5 AZR 36/19

Das Praxisproblem

Der Arbeitgeber hat ein großes Interesse daran, Fahrtzeiten eines Arbeitnehmers, die einem Kunden nicht weiterberechnet werden können, aus der Vergütungspflicht auszunehmen.

Insofern unterscheidet die Rechtsprechung grundsätzlich zwischen Zeiten die der Arbeitnehmer „eigennützig“ zurücklegt und solchen Zeiten, die er in Ausübung seiner Tätigkeit außerhalb des Betriebs erbringt.

Der Weg von der Wohnung zum Betrieb stellt daher z.B. keine Arbeit für den Arbeitgeber dar, sodass diese Fahrzeit auch nicht zu vergüten ist.

Von dem Differenzierungsmerkmal, dass die Reisezeit nur zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit zählt, wenn sie in die übliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers fällt, hat das BAG inzwischen Abstand genommen.

In einem aktuellen Fall musste sich das BAG mit der Frage beschäftigen, ob es dem Arbeitgeber gemeinsam mit dem Betriebsrat möglich ist, die Vergütungspflicht von Fahrtzeiten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu regeln und ob diese Regelung sodann noch im Einklang mit geltendem Tarifrecht steht.

 

Die Entscheidung

Der Kläger ist als Servicetechniker im Außendienst beschäftigt. Arbeitstäglich fährt er von seiner Wohnung zum ersten Kunden und kehrt vom letzten Kunden wieder dorthin zurück.

Die beklagte Arbeitgeberin ist aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden.

Gemäß den Regelungen des Manteltarifvertrages sind sämtliche Tätigkeiten eines Arbeitnehmers zur Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Eine ausdrückliche Regelung zu Fahrzeiten und insbesondere auch eine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthält der Tarifvertrag nicht.

Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält eine dynamische Bezugnahmeklausel, sodass die jeweils gültigen Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Neben den tarifvertraglichen Regelungen besteht bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung zur „Ein- und Durchführung von flexibler Arbeitszeit für Servicetechniker“. Insofern ist geregelt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen, wenn sie 20 Minuten nicht übersteigen. An- oder Abreisezeiten die länger als 20 Minuten dauern, sollen hinsichtlich der 20 Minuten übersteigenden Reisezeit zur Arbeitszeit zählen.

Der Kläger begehrte mit seiner Klage Anrechnung von 68 Stunden und 40 Minuten auf sein Arbeitszeitkonto. Diese Zeiten der An- und Abreise waren unbeachtet geblieben, da sie die 20-Minutengrenze nicht überschritten hatten.

Anders als die Vorinstanzen sah das BAG die Klage als begründet an.

Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag seien sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten.

Bei Außendienstmitarbeitern gehöre daher auch die gesamte für An- und Abfahrten zum Kunden aufgewendete Fahrzeit zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten.

Die Betriebsvereinbarung nehme nach dem Manteltarifvertrag vergütungspflichtige Arbeitszeit aus der Entgeltzahlungspflicht aus und betreffe folglich einen tariflich geregelten Gegenstand.

Der einschlägige Manteltarifvertrag enthalte keine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen, sodass die Regelungen der Betriebsvereinbarung die Regelungen des Manteltarifvertrages aufgrund der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz nicht verdrängen könnten.

Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, oder üblicherweise geregelt werden, könnten nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.

Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich bei der Regelung der Betriebsvereinbarung um eine Angelegenheit der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz handele. Aufgrund der Tarifgebundenheit der beklagten Arbeitgeberin bestehe schon kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

 

Praxisempfehlung

Das BAG hat in seiner Entscheidung insbesondere über das Verhältnis zwischen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen entschieden. Unternehmen sollten daher die für sie geltenden tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen überprüfen.

Enthalten die tarifvertraglichen Regelungen eine umfassende Regelung der Vergütung ohne eine entsprechende Öffnungsklausel für die Betriebsparteien, kann von den tariflichen Regelungen nicht durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden.

Nach der Rechtsprechung des BAG ist es gerade nicht erforderlich, dass ein Tarifvertrag eine ausdrückliche Regelung zu Fahrzeiten enthält, um diese dennoch vergütungspflichtig zu machen.

Insofern bestehen je nach Häufigkeit und Anzahl der eingesetzten Außendienstmitarbeiter erhebliche finanzielle Risiken für tarifgebundene Arbeitgeber.

 

Gerne beraten wir Sie!

Beate Puplick, Rechtsanwältin und Notarin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Fachanwältin für Familienrecht, Wirtschaftsmediatorin

 

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