BAG, Urteil vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 377/17
Das Praxisproblem
In vielen Arbeitsverträgen findet man Verfalls- und Ausschlussfristen. Darüber hinaus benennen viele Tarifverträge tarifliche Ausschlussfristen. Arbeitnehmern ist dies oftmals nicht bewusst.
Der Sinn und Zweck von Ausschlussfristen besteht darin, dass beide Parteien des Arbeitsvertrages, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sich möglichst schnell und umfassend einen Überblick über bestehende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verschaffen können. Ausschlussfristen dienen daher der Rechtsklarheit und dem Rechtsfrieden.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass durch kurze Ausschlussfristen in Tarifverträgen Arbeitnehmer benachteiligt werden, die den Inhalt des Tarifvertrages nicht kennen.
Der gesetzliche Mindestlohn gilt als Untergrenze für die Bezahlung eines Arbeitnehmers im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für die Urlaubsvergütung (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015, Az. 10 AZR 191/14). Fraglich ist, ob die Mindestlohnvergütung durch tarifliche Ausschlussfristen verfallen kann.
Die Entscheidung
In dem von dem BAG zu entscheidenden Fall war der Kläger als gewerblicher Arbeitnehmer bei einem Bauunternehmen beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt brutto 13,00 €. Die beklagte Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank und legte der Arbeitgeberin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung.
Der für das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag enthält eine Ausschlussfrist. Danach sind alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, unwirksam. Der gesetzliche Mindestlohn wurde von der Ausschlussklausel nicht ausgenommen.
In den beiden ersten Instanzen haben die Gerichte der Klage bezüglich der Vergütung nach dem gesetzlichen Mindestlohn je Stunde stattgegeben. Die Revision der Arbeitgeberin beim BAG hatte keinen Erfolg.
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Da der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet, bleibt ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten.
Aufgrund des Schutzzweckes des Mindestlohns sind Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohns beschränken, insoweit unwirksam. Das BAG hat klargestellt, dass zu solchen Vereinbarungen nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen gehören.
Praxisempfehlung
Überprüfen Sie die arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen. Erkundigen Sie sich, welcher Tarifvertrag für das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbar ist.
Einige Tarifverträge sind allgemeinverbindlich und gelten daher ohne besondere arbeitsvertragliche Bezugnahme für die Parteien des Arbeitsverhältnisses.
Gerne prüfen wir Ihre Arbeitsverträge und erläutern Ihnen die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf Ihr Arbeitsverhältnis. Wir stehen Ihnen gerne jederzeit beratend zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!
Beate Puplick
Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Fachanwältin für Familienrecht,
Wirtschaftsmediatorin