02 November

Unter welchen Voraussetzungen kann nach § 246 Abs. 14 BauGB zur Errichtung von Unterkünften für Flüchtlinge von sämtlichen Vorschriften des Baugesetzbuchs (BauGB) abgewichen werden?

VG Hamburg, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 7 E 6767/15

Das Praxisproblem:

Der neu eingefügte § 246 Abs. 14 BauGB sieht vor, dass von sämtlichen Vorschriften im Baugesetzbuch abgewichen werden kann, wenn dies zur Errichtung dringend benötigter Unterkünfte für Flüchtlinge dient und Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der betroffenen Gemeinde anderweitig nicht zur Verfügung gestellt werden können.

Diese Vorschrift ermöglicht sehr weitgehende Abweichungen vom Bauplanungsrecht. Flüchtlingsunterkünfte können danach in Baugebieten entgegen den Festsetzungen der geltenden Bebauungspläne errichtet werden, auch wenn dies möglicherweise zu einer Beeinträchtigung von nachbarlichen Rechten führt.

Unter welchen Voraussetzungen kommt § 246 Abs. 14 BauGB zur Anwendung?

 

Die Entscheidung:

In dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg zugrunde liegenden Sachverhalt erteilte die zuständige Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Einrichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen mit 700 Plätzen. Die Einrichtung sollte auf einem Gelände errichtet werden, welches sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans befand. Der Bebauungsplan sah für den Bereich eine Nutzung als Anzuchtfläche für den benachbarten Friedhof vor. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Gelände befand sich Wohnbebauung. Der Bebauungsplan wies im Bereich der Wohnbebauung ein reines Wohngebiet aus.

Die Behörde für Stadtentwicklung hatte der Abweichung von dem Bebauungsplan zuvor mit fachbehördlicher Entscheidung gemäß § 246 Abs. 14 BauGB zugestimmt.

Mehrere Eigentümer von Grundstücken in dem reinen Wohngebiet wandten sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollziehung der Baugenehmigung. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag der Anwohner gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80 a VwGO statt.

Die geplante Unterkunft für Flüchtlinge widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Das Gelände sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplans von einer Bebauung freizuhalten.

Die Festsetzung als Anzuchtgarten sei auch nachbarschützend für die Wohnbebauung. Damit solle ein Puffer zwischen dem Friedhofsgelände und dem Wohngebiet geschaffen werden.

Durch die geplante Errichtung der Flüchtlingsunterkunft werde diese Ruhezone beseitigt.

Die Nachbarn könnten daher die Verletzung nachbarschützender Festsetzungen des Bebauungsplans geltend machen.

Dies könne auch nicht durch eine Abweichung gemäß § 246 Abs. 14 BauGB geheilt werden. Die Voraussetzungen des § 246 Abs. 14 BauGB lägen nicht vor.

Der § 246 Abs. 14 BauGB mit den sehr weiten Abweichungsmöglichkeiten von den Vorschriften des BauGB sei – so das Verwaltungsgericht – das äußerste Mittel, um Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen. Sämtliche Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen nach den § 246 Abs. 8 - 13 BauGB müssten zuvor ausgeschöpft worden sein.

So sieht § 246 Abs. 8 BauGB eine erleichterte Nutzungsänderung von Gebäuden oder Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen vor oder können etwa gemäß § 246 Abs. 9 BauGB Flüchtlingsunterkünfte auch im Außenbereich - außerhalb der Geltung eines Bebauungsplans - errichtet werden.

Die Behörde müsse nachweisen, dass in dem Gemeindegebiet keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehe, Flüchtlingsunterkünfte zu errichten.

Dies sei der Behörde in dem vorliegenden Fall nicht gelungen.

Wegen Verstoßes gegen diese Festsetzungen des Bebauungsplans sei die Baugenehmigung eindeutig rechtswidrig.

 

Praxishinweis:

Die Anwendung des § 246 Abs. 14 BauGB kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn im Gebiet der betreffenden Gemeinde keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge bestehen. Zuvor müssen sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein, welche in § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB vorgesehen sind.

Erst wenn dies der Fall ist, kann von sämtlichen Vorschriften des BauGB abgewichen werden.

 

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