GmbH-Recht: Ist ein Gesellschafterbeschluss, der gegen eine in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung verstößt nichtig oder (lediglich) anfechtbar? Adobestock von john
17 September

GmbH-Recht: Ist ein Gesellschafterbeschluss, der gegen eine in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung verstößt nichtig oder (lediglich) anfechtbar?

BGH, Urteil vom 16.07.2024, Az. II ZR 71/23

Das Praxisproblem

Wie kann in einer Unternehmensgruppe mit diversen Gesellschaften, unterschiedlichen Gesellschaftern mit differierenden Interessenlagen ein System von „checks and balances“ geschaffen werden, um beispielsweise verschiedenen Gesellschafterstämmen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten oder auch Sperrminoritäten zu geben?

Dieses kann entweder durch Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag, durch Verträge zwischen den Gesellschaftern (Gesellschaftervereinbarungen) oder zwischen den Gesellschaftern unter Beteiligung Dritter geschehen.

Was geschieht aber dann, wenn ganz bewusst von einer Seite gegen das System von „checks and balances“ verstoßen wird? Wie es zu werten, wenn in einer zu einer Firmengruppe gehörenden GmbH von den Gesellschaftern unter Missachtung der in dem Gesellschaftsvertrag festgelegten Kompetenzverteilung und unter Missachtung einer zwischen den Gesellschaftern und Dritten geschlossenen Vereinbarung ein Gesellschafterbeschluss gefasst wird – ist dieser Beschluss dann nichtig oder (lediglich) anfechtbar?

Diese Frage ist alles andere als akademisch, wie die nachfolgende Entscheidung des BGH zeigt.

 

Die Entscheidung

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 16.07.2024 (Az. II ZR 71/23) mit einem Sachverhalt aus dem Fußballverein Hannover 96 befasst. Stark vereinfacht lag der Entscheidung folgender Sachverhalt:

Der Unternehmer Martin Kind ist bei dem in der 2. Fußballbundesliga spielenden Verein Hannover 96 seit vielen Jahren als Investor engagiert und auch in der Unternehmensführung tätig. Die Unternehmensgruppe „Hannover 96“ besteht aus diversen Unternehmen, die miteinander verbunden sind.

Die in der 2. Fußballbundesliga spielende Profiabteilung ist Teil der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA. Deren Komplementärin ist die Hannover 96 Management GmbH, deren Geschäftsführer Martin Kind ist. Alleinige Gesellschafterin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist der „Hannoverscher Sport-Verein von 1896 e.V.“.

Bei der Hannover 96 Management GmbH ist durch Satzung ein freiwilliger Aufsichtsrat bestellt. Zu den Aufgaben des Aufsichtsrats gehört die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers. Der Aufsichtsrat besteht aus 4 Mitgliedern, von denen 2 von dem „Hannoverscher Sport-Verein von 1896 e.V.“ und 2 von der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA entsandt werden. In dem Aufsichtsrat verfügte Martin Kind damit über eine Sperrminorität.

Ergänzend hatten der „Hannoverscher Sport-Verein von 1896 e.V.“, die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und deren Mehrheitskommanditistin, die Hannover 96 Sales & Services GmbH & Co. KG den sog. „Hannover 96 Vertrag“ abgeschlossen. Dieser Vertrag sah unter anderem vor, dass bei der Hannover 96 Management GmbH ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG – die unter Kontrolle des Martin Kind steht – keine Satzungsänderung bei der Hannover 96 Management GmbH durchgeführt werden darf.

Im Ergebnis führte Martin Kind damit über seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH die Geschicke der Profiabteilung von Hannover 96 in der 2. Fußballbundesliga.

Am 25.07.2022 fasste der Verein, also der „Hannoverscher Sport-Verein von 1896 e.V.“ als alleiniger Gesellschafter der Hannover 96 Management GmbH auf einer Gesellschafterversammlung den Beschluss Martin Kind als Geschäftsführer abzusetzen.

Mit diesem Beschluss sind die satzungsmäßigen Kompetenzen der Gesellschafterversammlung (bewusst) überschritten worden – für die Abberufung des Geschäftsführers ist laut Satzung der Aufsichtsrat zuständig. Weiter ist mit dem Beschluss auch gegen den „Hannover 96 Vertrag“, also eine vertragliche Stimmrechtsbindung, verstoßen worden.

Der BGH hatte in seiner Entscheidung zu prüfen, ob die Kompetenzüberschreitung der Gesellschafterversammlung und der Verstoß gegen die vertragliche Stimmrechtsbindung lediglich zu einer Anfechtbarkeit oder aber gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog) zu einer Nichtigkeit des Beschlusses über die Absetzung von Martin Kind als Geschäftsführer geführt haben. Weiter hat sich der BGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Verhalten der Gesellschafterversammlung möglicherweise sittenwidrig ist und dadurch der Beschluss gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) nichtig ist.

Der Geschäftsführer einer GmbH kann aus eigenem Recht nicht gegen Beschlüsse einer Gesellschafterversammlung vorgehen. Damit konnte sich Martin Kind nur dann gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH wehren, wenn der Beschluss nichtig ist.

  1. Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog)?

Der BGH hat eine Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog) abgelehnt. Ein Beschluss sei nach dieser Norm nur dann nichtig, wenn er gegen grundlegende Strukturprinzipien des GmbH-Rechts verstößt. Derartige grundlegende Strukturprinzipien seien vorliegend nicht verletzt worden. Nach Auffassung des BGH gibt es kein grundlegendes Strukturprinzip des GmbH-Rechts, wonach einem – fakultativ eingerichteten – Aufsichtsrat einer GmbH die Kompetenz zusteht, über die Bestellung oder Abberufung eines Geschäftsführers beschließen. Es handele sich hierbei grundsätzlich um eine Kompetenz der Gesellschafterversammlung.

Der BGH hat klargestellt, dass auch Stimmbindungsverträge in erster Linie die Vertragsparteien untereinander binden, also lediglich auf schuldrechtlicher Ebene wirken. Ein Verstoß gegen den Stimmbindungsvertrag führe mithin nicht automatisch zu einer Nichtigkeit des Beschlusses. Streitigkeiten über die Verletzung einer Stimmbindungsvertrages seien zwischen den Vertragsbeteiligten zu klären.

Auch die kumulative Verletzung der Kompetenzvorschrift der Satzung und des Stimmbindungsvertrages führe nicht, wie noch vom OLG Celle als Berufungsgericht angenommen, zur Nichtigkeit des Beschlusses.

  1. Nichtigkeit des Beschlusses aus „prozesswirtschaftlichen Erwägungen“?

Das OLG Celle als Berufungsgericht hatte den Beschluss auch aus „prozesswirtschaftlichen Erwägungen“ für nichtig gehalten. Der BGH hat diese Erwägungen des Berufungsgerichts schon alleine deswegen verworfen, weil die Berechtigte des aus dem „Hannover 96 Vertrag“ folgenden Zustimmungsvorbehalts, die Hannover 96 Sales & Services GmbH & Co. KG nicht Gesellschafterin der Hannover 96 Management GmbH ist.

  1. Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog)?

Das Berufungsgericht hatte den Beschluss auch gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) für nichtig gehalten, weil der Beschluss durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen würde.

 

Auch dieses hat der BGH verworfen. Der BGH hat ausgeführt, dass ein Verhalten dann sittenwidrig ist, wenn es in seiner Gesamtheit einschließlich seines Inhalts, Zwecks und Beweggrunds dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Diese sei bei einem Verstoß gegen vertragliche Pflichten, dem Brechen von Gesetzen oder der Verursachung eines Vermögensschadens nicht automatisch der Fall. Es müsse, so der BGH, eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens vorliegen, die sich aus dem Ziel, den eingesetzten Mitteln, der Gesinnung oder auch der Folgen ergibt.

Diese sei vorliegend nicht gegeben. Der BGH verneinte auch eine Sittenwidrigkeit aufgrund der Schädigung nicht Anfechtungsberechtigter. Der Verstoß der Gesellschafterversammlung gegen die Satzung mache den Beschluss nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar.

Im Ergebnis hat der BGH den Beschluss der Gesellschafterversammlung also nicht als nichtig angesehen, sondern diesen lediglich für anfechtbar gehalten. Dieses nützte dem hier klagenden Martin Kind allerdings nicht, da er zur Geltendmachung der Anfechtbarkeit des Beschlusses als abberufener Geschäftsführer aus eigenem Recht nicht klagebefugt ist.

 

Die Praxisempfehlung

Soll in einer Unternehmensgruppe ein komplexes System von „checks and balances“ geschaffen werden, um beispielsweise verschiedene Gesellschafterstämme Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten oder auch Sperrminoritäten zu geben, ist dieses über satzungsrechtliche Regelungen oder auch über Stimmbindungsverträge möglich. Wie die vorliegende – auch für Nichtjuristen lesenswerte – Entscheidung des BGH exemplarisch zeigt, müssen diese Regelungen auch auf die Folgen bewusster Verstöße geprüft werden. Beratung durch erfahrene Fachanwälte für Handels- und Gesellschaftsrecht ist unabdingbar.

 

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