Wirksame krankheitsbedingte Kündigung auch ohne vorherige Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements?
09 Juli

Wirksame krankheitsbedingte Kündigung auch ohne vorherige Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements?

LAG Brandenburg, Urteil vom 27.02.2019, 17 Sa 1605/18

Das Praxisproblem

Der Arbeitnehmer ist langfristig arbeitsunfähig erkrankt, so dass der Arbeitgeber beabsichtigt, ihn krankheitsbedingt zu kündigen.

Eine solche Kündigung wegen Krankheit ist an strenge Voraussetzungen geknüpft.

Zunächst muss sich aufgrund der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit eine negative Prognose ergeben, wonach auch zukünftig mit weiteren, erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen ist. Hierdurch müssen die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt sein.

Letztlich muss eine Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen für den Arbeitgeber nicht mehr hinnehmbar sind.

Ist ein milderes Mittel als die Kündigung ersichtlich, hat der Arbeitgeber zunächst dieses zu ergreifen. Ein solches milderes Mittel kann die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) sein. Ergreift der Arbeitgeber das mildere Mittel nicht, so ist die Kündigung regelmäßig unverhältnismäßig und sozial ungerechtfertigt.

 

Die Entscheidung

Der schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten beschäftigt.

Bei einem Arbeitsunfall verlor er den Großteil seines linken Daumens, so dass er in der Folgezeit aus diesem Grund, aus psychischen Gründen und aufgrund einer Asthmaerkrankung durchgehend mehr als dreieinhalb Jahre arbeitsunfähig war.

Mit Zustimmung des Integrationsamtes kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aufgrund seiner langandauernden Arbeitsunfähigkeit ordentlich.

Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und trug vor, dass die Beklagte an seiner psychischen Erkrankung Schuld sei. Sie habe ihm vorgeworfen „einen auf Rentner“ zu machen. Der Geschäftsführer der Beklagten hätte sich entschuldigen müssen, dann wäre es auch möglich gewesen, dass seine psychischen Belastungen abgenommen hätten und er gegebenenfalls wieder arbeitsfähig geworden wäre.

Der Kläger mied jeglichen Kontakt zum Geschäftsführer der Beklagten und äußerte sich auch sonst nicht inhaltlich zu seinem Gesundheitszustand.

Auch Gesprächseinladungen des Integrationsamtes leistete er keine Folge.

Nachdem bereits das Arbeitsgericht die Klage des Klägers abwies, wies auch das LAG Brandenburg seine Berufung zurück und die Klage ab.

Die krankheitsbedingte Kündigung sei wirksam.

Die langandauernde Erkrankung des Klägers in der Vergangenheit begründe eine Indizwirkung für deren Fortdauer und demzufolge eine negative Gesundheitsprognose. Die Indizwirkung habe der Kläger nicht in erheblicher Weise entkräftet.

Ein Ende der der Arbeitsunfähigkeit zugrundeliegenden Erkrankung sei nicht absehbar. Insoweit sei es auch völlig offen, ob eine Entschuldigung des Geschäftsführers der Beklagten bei dem Kläger zu einer Besserung seiner gesundheitlichen Situation führen werde.

Aufgrund der Ungewissheit hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei gemäß der gefestigten Rechtsprechung des BAG auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen.

Auch im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiege letztlich das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Sie könne nicht mehr damit rechnen, dass das Arbeitsverhältnis noch einmal durchgeführt wird.

Im vorliegenden Fall sei es auch unschädlich, dass das BEM-Verfahren von der Beklagten nicht eingeleitet wurde. Sie sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger einer Einladung keine Folge geleistet hätte.

 

Praxisempfehlung

Gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX findet ein BEM nur mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers statt, da ohne seine Mitwirkung nicht geklärt werden kann, ob und auf welche Weise auf seine Arbeitsunfähigkeit reagiert und ob von einer Kündigung Abstand genommen werden kann.

Als Arbeitgeber sollten Sie darauf achten, dass Sie bei ununterbrochener oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit von insgesamt sechs Wochen innerhalb eines Jahres ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten und bei Zustimmung des Arbeitnehmers durchführen.

Ohne Durchführung eines BEM ist eine krankheitsbedingte Kündigung nur in Ausnahmefällen - wie dem vorgenannten - zulässig.

 

Gerne beraten wie Sie!

 

Beate Puplick, Notarin und Fachanwältin für Arbeitsrecht,

Fachanwältin für Familienrecht, Wirtschaftsmediatorin

 

Gelesen 1789 mal

Wir brauchen Ihre Zustimmung!

Diese Webseite verwendet Google Maps um Kartenmaterial einzubinden. Bitte beachten Sie, dass hierbei Ihre persönlichen Daten erfasst und gesammelt werden können.
Um die Google Maps Karte zu sehen stimmen Sie bitte zu, dass diese vom Google-Server geladen wird. Weitere Informationen finden sie HIER