01 Januar

Altersdiskriminierung: Altershöchstgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige und Staffelung der Urlaubsansprüche nach Lebensalter

I. Das Praxisproblem

Das AGG verbietet unter anderem eine unzulässige Benachteiligung und Diskriminierung wegen des Alters.

 

1. Altershöchstgrenze für Sachverständige
Viele Sachverständige nutzen im Alter nach Erreichen der Regelaltersgrenze die Möglichkeit, sich aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen aus der Berufspraxis als öffentliche und vereidigte Sachverständige bestellen zu lassen.

Zahlreiche Satzungen sehen eine Mindest- und Höchstaltersgrenze von Sachverständigen vor.

2. Staffelung der Anzahl der Urlaubstage nach Lebensalter
Ist die Staffelung der Urlaubsansprüche nach dem Lebensalter generell unwirksam? Wie wirkt sich die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht bezogen auf die Regelung im TVöD auf andere Tarifverträge und Arbeitsverträge aus?

Nach dem Inkrafttreten des AGG wurde die altersabhängige Staffelung der Urlaubsansprüche vereinzelt geändert, auch heute noch sehen jedoch Arbeitsverträge und Tarifverträge eine derartige Staffelung nach Lebensalter vor.


Eine altersbedingte Benachteiligung ist jedoch nur dann erlaubt, wenn sie „objektiv und angemessen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist" (§ 10 Satz 1 AGG). Außerdem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich" sein (§ 10 Satz 2 AGG).


Diese allgemein gefasste Erlaubnis (Generalklausel) wird ergänzt durch eine nicht abschließende Aufzählung von sechs Beispielsfällen in § 10 AGG, in denen eine altersbedingte Benachteiligung rechtlich erlaubt ist.

Rechtlich erlaubt ist nach § 10 Satz 3 AGG beispielsweise:

• die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen,

• die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,
• die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,
• eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt,
• Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes unter bestimmten Voraussetzungen.

Wann eine zulässige Benachteiligung im Einzelfall vorliegt, ist jedoch regelmäßig Gegenstand von Gerichtsverfahren.

II. Die Entscheidung

1. Altershöchstgrenze für Sachverständige
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 01.02.2012, Az. 8 C 24.11 entschieden, dass eine Industrie- und Handelskammer in ihrer Satzung keine generelle Höchstaltersgrenze für sämtliche öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen festsetzen darf.


In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall wurde der Antrag eines 75- jährigen Klägers auf weitere Verlängerung der Bestellung als Sachverständiger bei der Industrie- und Handelskammer abgelehnt.
Der Kläger war von der Industrie- und Handelskammer zunächst bis zur in der Satzung festgelegten Höchstaltersgrenze von 68 Jahren als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger bestellt worden.
Danach wurde auf Antrag die Bestellung noch einmal bis zur Vollendung des 71. Lebensjahres verlängert, wie es die Sachverständigenordnung der Industrie- und Handelskammer vorsah.

Gegen die Ablehnung der weiteren Verlängerung erhob der Sachverständige Klage.

In seiner aktuellen Entscheidung sah das Bundesverwaltungsgericht in der generellen Altershöchstgrenze eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

Die Tätigkeit als Sachverständiger in den Sachgebieten, für die der Kläger seine Bestellung begehrte, "EDV im Rechnungswesen und Datenschutz" sowie "EDV in der Hotellerie" stelle keiner besonderen Anforderungen, die bei entsprechender Vorbildung und Erfahrung nur Jüngere erfüllen könnten.
Die festgelegte generelle Höchstaltersgrenze wurde daher für unwirksam erklärt.

2. Staffelung der Urlaubsansprüche nach Lebensalter
Mit Urteil vom 20.3.2012, Az. 9 AZR 529/10 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstößt.

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte die Klägerin die Feststellung beantragt, dass sie in den Jahren 2008 und 2009 und damit vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres über den tariflich vorgesehenen Urlaub von 29 Arbeitstagen hinaus jeweils ein weiterer Urlaubstag zugestanden hat.
Als Begründung trug sie vor, dass die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in § 26 Abs. 1 S. 2 TV gilt die gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters verstoße.
Nach dieser Regelung beträgt der Urlaubsanspruch bei einer fünf-Tage-Woche bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.

Das Arbeitsgericht erster Instanz gab der Klage statt, das Landesarbeitsgericht wies die Klage der Klägerin in zweiter Instanz ab.
Das BAG entschied nunmehr zu Gunsten der Klägerin mit der Begründung, dass die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 Abs. 1 S. 2 TVöd die Beschäftigten benachteilige, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolge nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen.
Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich nicht begründen.

Der Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters könne nur beseitigt werden, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise "nach oben" angepasst wird, dass auch deren Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage betrage.
Bereits mit Urteil vom 18.1.2011 hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Az. 8 SA 1274/10 entschieden, dass die Urlaubsanspruchsstaffelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel NRW eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters beinhalte.

Über die eingelegte Revision der Beklagten hatte das Bundesarbeitsgericht seinerzeit jedoch nicht entschieden, da die Beklagte zuvor die Revision zurückgenommen hatte.



III. Die Praxisempfehlung
Die Entscheidungen der beiden Obergerichte haben weitreichende Auswirkung auf die Praxis.

Viele Satzungen und Odnungen der Kammern sehen für die öffentliche Bestellung und Vereidigung zum Sachverständigen eine Altershöchstgrenze und Tarifverträge und Arbeitsverträge noch immer eine staffelung der Urlaubsansprüche nach dem Lebensalter vor.

Es besteht daher Anpassungsbedarf der Satzungen, Ordnungen, Tarifverträge und Arbeitsverträge.

Die dargestellten Beispielsfälle des § 10 S. 3 AGG geben einen ersten Anhaltspunkt, wann von einer zulässigen Altersbeschränkung ausgegangen werden kann.
Auch in Arbeitsverträgen ist darauf zu achten, dass nicht eine generelle Höchstgrenze oder Urlaubsanspruchsstaffelung aufgeführt wird, ohne dass sich diese Ungleichbehandlung mit den gesetzlich vorgesehenen Gründen darstellen lässt.

Soll eine Altersbeschränkung vereinbart werden, empfiehlt es sich, die Gründe zum Gegenstand der Vertragsklausel zu machen.

Da die Frage der Altersdiskriminierung und unzulässigen Benachteiligung regelmäßig Gegenstand von Verfahren auch vor dem Bundesarbeitsgericht ist, sollten Verträge anhand der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
 

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Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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