01 Februar

Abwehr von Ausweitungen bekannter Immissionsquellen


Der Betreiber plant die Ausweitung des Betriebes / der Anlage.
Als Grundstückseigentümer befürchten Sie durch die Ausweitung solcher Anlagen nicht mehr hinnehmbare negative Auswirkungen auf Ihr Bestandsobjekt. Was können Sie tun?

Lösungsansätze:
Die Bewältigung von Nutzungskonflikten zwischen ruhebedürftiger Wohnbebauung und immissionsintensiven Betrieben / Anlagen ist schwierig.
Patentlösungen sind selbst bei scheinbar gleich gelagerten Lebenssachverhalten nicht ersichtlich. Lösungsansätze sind deshalb stets aufgrund wertender Betrachtungen des Einzelfalls zu erarbeiten.

Einige Tendenzen der obergerichtlichen Rechtsprechung können den nachfolgenden Entscheidungen entnommen werden:

Hochspannungsleitung
Das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück des Klägers wird über die gesamte Breite von zwei Hochspannungsleitungen überspannt.
In 15 m Entfernung zum Wohnhaus befindet sich eine 110 kV Leitung.
In weiteren 28 m Entfernung befindet sich eine Leitungsachse einer 220 kV Leitung.
Im Grundbuch waren zugunsten der Beigeladenen ein Recht auf Legung und Unterhaltung von Hochspannungsleitungen und in Verbindung damit eine Bau- und Aufwuchsbeschränkung sowie ein Betretungsrecht eingetragen.
 

Die 220 kV Netzebene sollte durch eine 380/ 110 kV Freileitung abgelöst werden.
Von einem der geplanten zwei Bauabschnitte war das klägerische Grundstück betroffen.
Das Raumordnungsverfahren sowie ein landschaftspflegerischer Begleitplan wurden genehmigt.

Das zuständige Ministerium erklärte aufgrund des § 12 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung vom 24. April 1998 zugunsten der Beigeladenen für den Bau und Betrieb der 380 / 110 kV Leitung, 2. Bauabschnitt, die Enteignung in dem für die Durchführung des Vorhabens notwendigen Umfang.

Trotz der Einwendungen des Klägers u.a. wegen der Behauptung der Zugrundelegung zu hoher Grenzwerte oder der Nichtberücksichtigung verschiedener Faktoren der Strahlenbelastung erging ein Enteignungsbeschluss zugunsten der Beigeladenen zur Realisierung des Leitungsvorhabens.

Diesen Enteignungsbeschluss griff der Kläger mit seiner Klage an.

Die Entscheidung:


Die Klage wurde vom OVG NRW abgewiesen.


Der Enteignungsbeschluss sei rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Enteignungsmaßnahme in Gestalt der zugunsten der Beigeladenen eingetragenen persönlichen Dienstbarkeit, ist § 12 des Gesetzes zu Förderung der Energiewirtschaft (EnWG) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24.April 1998 und des Landesenteignungs- und Entschädigungsgesetz ( EEG NW) vom 20. Juni 1989.
Eine solche Enteignung sei zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordere und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden könne
(§ 4 Abs. 1 EEG; vgl. auch Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG).

Der Enteignungsbeschluss sei rechtmäßig, da er sich insbesondere auf eine Belastung des Grundstücks beschränke und eine "Vollenteignung" vermeide (vgl. § 7 Abs. 1 EEG).

Soweit der Kläger seine Argumentation auf das Nichteinhalten von Grenzwerten stützt, sei dies unbeachtlich.
Eine Freileitung ist keine genehmigungsbedürftige Anlage nach § 4 BImSchG i.V. mit § 1 der 4. BImschV.
Rechtlicher Maßstab für die Beurteilung sei deshalb § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG.

Danach sind nicht genehmigungspflichtige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.

Schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG).

Dabei ginge es nach überwiegender Meinung, ausschließlich um die Abwehr von Gefahren und erheblichen Nachteilen bzw. Belästigungen, nicht um Vorsorge. 

Bei der streitgegenständlichen Leitung handelte es sich um eine Niederfrequenzanlage gemäß
§ 1 Abs. 2 Nr. 2 a 26. BImSchV, für die § 3 i.V.m. Anhang 2 der 26. BImSchV bestimmte Grenzwerte festgesetzt sind.
Diese Grenzwerte seien nicht überschritten worden.

Im Ergebnis überprüfe das wissenschaftliche Beratungsgremium des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die Strahlenschutzkommission (SSK) die Grenzwertfestsetzung laufend anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.

 

Die Revision wurde nicht zugelassen.

(OVG NRW Urteil vom 09.01.2004, Az.: 11 D 116/02 >verkürzt<)

 

 

Einkaufszentrum

Im vorliegenden Fall wenden sich Grundstückseigentümer mit einem Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan, der eine Erweiterung eines bereits bestehenden Einkaufszentrums vorsah. Die Grundstückseigentümer befürchteten einen deutlichen Anstieg der Lärmbelästigungen.

Das OVG NRW hatte die prognostizierten Lärmbelästigungen sowie deren Zumutbarkeit zu beurteilen.

Bei der Berechnung der prognostizierten Lärmbelästigungen sind laut OVG solche Lärmquellen außer Acht zu lassen, die erkennbar keinen nennenswerten Einfluss auf die Gesamtbelastung haben.

Für die Prüfung der Zumutbarkeit von Lärmerhöhungen, sei vor allem die jeweilige Vorbelastung maßgeblich.

Vorliegend lag die Vorbelastung bei 74 db(A).

Zur vorhandenen Lärmbelastung sollte eine prognostizierte Erhöhung um ca. 0,2 db(A) -0,06 dB(A) kommen.

 

Die Entscheidung:

 

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) wies den Antrag zurück.

Eine derartige Erhöhung des vorbelasteten Gebietes sei nach Auffassung des Gerichtes nicht spürbar und müsse deswegen hingenommen werden.

Die Erhöhung sei im vorliegenden Fall zumutbar, da die zusätzlichen Lärmbelastungen nicht zu einer Gesamtbelastung führen, die eine Gesundheitsgefährdung darstellt. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum Gesundheitsschutz sei nicht berührt.

Die Antragsgegnerin habe bereits bei der Planaufstellung mehrere Möglichkeiten zum passiven Lärmschutzes aufgezeigt, die der Kompensation der Immissionserhöhungen dienten.

Eine angemessene Nutzung sowohl der Außenwohnbereiche als auch der Räume im Gebäude bei (gelegentlich) geöffnetem Fenster sei im Übrigen bereits von vornherein nicht möglich gewesen, da eine solche nur bis zu einem Dauerschallpegel von 60 dB(A) möglich sei. Mit einem Wert von über
74 dB(A) ist diese Grenze vorliegend deutlich überschritten.

(OVG Münster, Urteil vom 13.03.2008, Az: 7 D 34/07)

 

Kohlekraftwerk

Mehrere Bürger klagten gegen einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die Erweiterung eines Kohlekraftwerkes.

Das konventionelle Steinkohlekraftwerk sollte um einen weiteren Kraftwerkblock erweitert werden. Der Kraftwerkblock sollte eine Feuerungswärmeleistung von 1.750 MW und eine elektrische Leistung von 760 MW haben.

Den streitgegenständlichen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid hatte die Kraftwerkbetreiberin beantragt, um vorab das Vorliegen sowohl der immissionsschutzrechtlichen als auch der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für das Erweiterungsvorhaben verbindlich zu klären. Die Bezirksregierung erteilte einen positiven Vorbescheid.

Die Kläger stützten ihre Klage u. a. auf eine unzureichende Überprüfung der Umweltauswirkungen des Vorhabens. Die Bezirksregierung habe nicht ausreichend überprüft, ob durch die Kraftwerkerweiterung schädliche Luftverunreinigungen hervorgerufen würden. Insbesondere vor dem Hintergrund der ohnehin hohen Vorbelastung durch Feinstaub könne die Zulassung eines weiteren Kraftwerkblocks nicht hingenommen werden.

Den klagenden Bürgern ist es nicht gelungen, die für einen Klageerfolg notwendige Verletzung in eigenen subjektiven Rechten zur Überzeugung des Gerichts darzulegen.

Die Kläger trugen vor, dass weder eine eigenständige Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorgelegt, noch sei im Vorbescheid eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden. Eine wirkungsbezogene Darstellungen der Auswirkungen auf das Schutzgut ‚Wasser’ sei ebenso unterlassen worden, wie eine Summenbetrachtung für alle Luftschadstoffe der in der Region geplanten Kohlekraftwerke.

Zudem sei die hohe Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Vorbelastung am Standort unberücksichtigt geblieben. Schon jetzt könnten die Grenzwerte für die extrem gesundheitsschädlichen Partikel und Stickstoffdioxid nicht eingehalten werden. Durch die Genehmigung von Zusatzimmissionen eines großen Kohlekraftwerks würde somit eine bestehende Grenzwertüberschreitung weiter verfestigt.

 

Die Entscheidung:

Das OVG wies die Klagen ab.

Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eingeholte Gutachten zeigten, dass der geplante zusätzliche Kraftwerkblock nicht zu einer nennenswerten zusätzlichen Belastung durch Luftschadstoffe im Bereich der klägerischen Grundstücke führen würde. Insbesondere die Zusatzbelastung für Feinstaub betrage an den klägerischen Grundstücken weniger als 1 % des zulässigen Grenzwerts. Auch sonstige unzulässige schädliche Umwelteinwirkungen durch die Kraftwerkerweiterung - etwa durch Lärm oder durch eine Verschattung von Kühlturmschwaden - seien nicht zu erwarten.

(OVG Münster hat mit Urteil vom 09.12.2009)

 

Flughafen

Das Objekt wurde in der Nähe eines Militärflugplatzes errichtet, das von Anfang an stark vom Fluglärm belastet war. Im Zeitpunkt der Errichtung lag kein förmliches Bauverbot vor. Erst Jahre später werden Lärmschutzzonen (Fluglärmschutzgesetz) festgelegt. Das bebaute Grundstück wird der Lärmschutzzone 1 zugeordnet. Grundstücke, die in der Lärmschutzzone 1 liegen, sind wegen der vorherrschenden Lärmbelästigung als zur Wohnbebauung ungeeignet.

 

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Entschädigungsansprüche zurück.

Der Grundstückseigentümer hat keinen Anspruch auf Entschädigung aus enteignendem Eingriff wegen der vom Flugplatz ausgehenden Lärmimmissionen. Bereits bei der Durchführung des Bauvorhabens sei eine erhebliche und dauerhafte Lärmbelästigung vorhanden gewesen. Der Eigentümer habe in Kenntnis aller Umstände sein Bauvorhaben durchgeführt. Die nachträgliche Einordnung in Lärmschutzzonen sei nicht ausschlaggebend, da das Grundstück bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Wohngebäudes als zur Wohnbebauung ungeeignet gewesen sei. Eine Entschädigung nach Art. 14 GG kommt nicht in Betracht.

(BGH Beschluss vom 29.06.2006 – III ZR 253/05)

Die vorgenannten Entscheidungen verdeutlichen, dass ein Vorgehen gegen Ausweitungen von Immissionsquellen nur erfolgversprechend ist, wenn die Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird.
Bei der Frage der Zumutbarkeit ist auf die die Zusatzbelastung durch die Ausweitungen der bereits vorhandenen Immissionen der Vorbelastung abzustellen.

Allerdings lässt sich keine grundsätzliche Erheblichkeitsschwelle (Opfergrenze) feststellen.
Vielmehr bedarf es der genauen Prüfung jeden Einzelfalles.

 

Folgende Kriterien dienen als Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Unzumutbarkeit:

 

  1. die weiteren Immissionen führen zu einer Gesundheitsgefährdung,

  2. die weiteren Immsionen beschränken die eigentumstypischen Nutzungsmöglichkeiten,

  3. die weiteren Immissionen beeinträchtigen das Selbstverwaltungsrecht der Betroffenen.

 

Die Praxisempfehlungen:

 

Aktuelle und belastbare Informationen sind wie immer entscheidend.

Deshalb empfehlen wir: 

  1. Prüfen Sie vor dem Erwerb die Umgebung auf mögliche Immissionsquellen. 

  2. Prüfen und beobachten Sie Veränderungen vorhandener, genehmigter Immissionsquellen. 

  3. Holen Sie im Falle erster Anzeichen für Veränderungen frühzeitig Auskünfte bei den entsprechenden Behörden ein. 

  4. Prüfen Sie insoweit beispielsweise, ob Bauvoranfragen anhängig sind oder ob der Bebauungsplan geändert wurde bzw. geändert werden soll. 

  5. Verschaffen Sie sich einen aktuellen Informationsstand durch Teilnahme an öffentlichen Sitzungen / Terminen von kommunalen Interessensvertretungen etc.. 

  6. Lesen Sie die regionale Presse und informieren Sie sich durch das Internet

  

Diverse Fallstricke können also dazu führen, dass die Durchsetzung von Ansprüchen ausgeschlossen oder erheblich erschwert wird.

Dies gilt es zu vermeiden!

Unser Team Immobilien und Recht steht Ihnen jederzeit beratend zur Verfügung.   

 

Sprechen Sie uns an!

 

Dr. Alexander Puplick, Rechtsanwalt und Notar
Martin Bülter, Fachanwalt für Bau und Architektenrecht
, Fachanwalt für Bau und Architektenrecht

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