10 Dezember

Kann eine Kommune leerstehende Gebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmen?

OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.12.2015, Az. 11 ME 230/15

Das Praxisproblem

Aufgrund der großen Zahl der Flüchtlinge bestehen Kapazitätsengpässe bei deren Unterbringung. Einige Länder und Kommunen erwägen daher, leer stehende Gebäude zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterzubringen.

Ist dieses nach der gegenwärtigen Gesetzeslage rechtlich möglich? Welche Voraussetzungen sind gegebenenfalls an eine Beschlagnahme privaten Eigentums zu knüpfen?

Die Praxisentscheidung

In dem der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Stadt Lüneburg einen leer stehenden Gebäudekomplex beschlagnahmt. Diesen hatte der Eigentümer zuvor erworben, um die vorhandenen Gebäude abzureißen und dort Wohngebäude zu errichten.

Der Eigentümer erhob Klage gegen die Beschlagnahme und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht gab dem Eigentümer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Recht und stellte die aufschiebende Wirkung der Klage des Eigentümers gegen den Bescheid der Stadt Lüneburg wieder her.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhob die Stadt Lüneburg Beschwerde. Die Beschwerde wurde von dem OVG als unbegründet zurückgewiesen. Dies begründet das OVG damit, dass die Anordnung der Beschlagnahme offensichtlich rechtswidrig war.

Zweifelhaft sei bereits - so das OVG - ob die allgemeine Regelung zur Gefahrenabwehr in § 11 des niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) als Rechtsgrundlage für eine derartige Maßnahme in Betracht kommt.

So hätten die Freie- und Hansestadt Hamburg und die Hansestadt Bremen gesetzliche Spezialregelungen erlassen, welche eine Beschlagnahme von Privateigentum zur Unterbringung von Flüchtlingen nur unter den dort definierten besonderen Voraussetzungen ermöglichen. Dies spreche gegen eine Anwendung der gefahrenabwehrrechtliche "Generalklausel" auf die Beschlagnahme von Privateigentum zur Unterbringung von Flüchtlingen.

Darauf komme es aber im Ergebnis nicht an, da die weiteren Voraussetzungen für Maßnahmen nach dem Nds. SOG gegen den Eigentümer nicht vorliegen. Der Eigentümer habe die Gefahr - hier die mögliche Obdachlosigkeit von Flüchtlingen - nicht verursacht, so dass er Sinne des Gefahrenabwehrrechts als "Nichtstörer" zu betrachten sei. Maßnahmen gegen "Nichtstörer" können gemäß § 11 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG nur dann ergriffen werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr vorliegt. Dies sei dann gegeben, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Dies hat das OVG verneint. Zum einen seien nach eigenem Bekunden der Stadt Lüneburg noch Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen vorhanden. Zum anderen musste das vollständig entkernte Gebäude zunächst noch aufwendig hergerichtet werden, so dass eine kurzfristige Nutzung nicht möglich war. Für derartige Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge sei § 8 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG nicht einschlägig.

Ferner habe die Stadt Lüneburg nicht hinreichend dargelegt, dass keinerlei anderweitige Möglichkeiten zur Abwendung der Gefahrenlage im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG bestehen. An das Vorliegen dieser Voraussetzung seien besonders hohe Anforderungen zu knüpfen, da die Unterbringung von Flüchtlingen in dem Gebäude des Eigentümers einen erheblichen Eingriff in dessen Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG bedeute. Ein solcher Eingriff sei nur dann zulässig, wenn keinerlei gemeindeeigene Unterkünfte zur Verfügung stehen und auch auf andere Weise zeitnah keine Beschaffung von Unterkünften möglich ist. Dazu habe die Stadt Lüneburg nichts vorgetragen. Vielmehr ergebe sich aus den Darlegungen der Stadt Lüneburg, dass noch Kapazitäten vorhanden seien.

Praxisempfehlung

  1. Eine Beschlagnahme von Eigentum Dritter zur Unterbringung von Flüchtlingen ist nach der Entscheidung des OVG Lüneburg vom 01.12.2015 (Az. 11 ME 230/15), wenn überhaupt, nur unter besonders engen Voraussetzungen möglich.
     
  2. Es muss die unmittelbare Gefahr bestehen, dass die Flüchtlinge andernfalls obdachlos werden. Ferner dürfen keine anderweitigen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Flüchtlinge unterzubringen.
     
  3. Die Grundsätze der Entscheidung sind auch auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen übertragbar. Die einschlägigen Bestimmungen des Nds. SOG sind zum Teil wortgleich mit den Bestimmungen in § 14 und 19 OBG, dem Gesetz zur Gefahrenabwehr in Nordrhein-Westfalen.
     
  4. Sollte eine Kommune daher beabsichtigen, leerstehende Gebäude für die Unterbringung von Flüchtlingen zu beschlagnahmen, bestehen gute Aussichten, dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen.

Wir stehen Ihnen gerne jederzeit beratend zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!

Dr. Alexander Puplick, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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