08 September

Sind Geschäftsführer und Praktikanten Arbeitnehmer?

EuGH, Urteil vom 09.07.2015, Az. C-229/14

Das Praxisproblem

Nach der herrschenden deutschen Rechtsprechung sind weder Fremdgeschäftsführer noch Praktikanten Arbeitnehmer im Sinne der Arbeitnehmerschutzrechte.

Der EuGH hatte jedoch bereits in seiner Entscheidung vom 11.11.2010 zum Az. C-232/09 - Danosa entschieden, dass der Begriff des Arbeitnehmers, wie er in der Mutterschutz-Richtlinie 92/85/EWG enthalten ist, unionsrechtlich auszulegen ist. Danach ist Arbeitnehmer, wer für eine andere Person nach deren Weisungen Leistungen gegen entsprechende Vergütung erbringt. An dieser Definition hält der EuGH auch in seiner jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 09.07.2015 fest. Gegenstand dieser Entscheidung war die Definition des Arbeitnehmerbegriffs in der Massenentlassungs-Richtlinie 89/59/EG.

Die Entscheidung

Der Arbeitnehmer, Herr Balkaya, war seit dem 01.04.2011 als Techniker bei der Firma Kiesel Abbruch- und Recyclingtechnik GmbH beschäftigt. Die Arbeitgeberin beendete zum 15.02.2013 sämtliche Arbeitsverhältnisse. Sie stellte ihren Geschäftsbetrieb in Achim, da dieser in die Verlustzone geraten war, ein. Sie beendete auch das Arbeitsverhältnis mit Herrn Balkaya. Herr Balkaya erhob Kündigungsschutzklage. Er behauptete, dass vor der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG hätte erstattet werden müssen. Eine solche Massenentlassungsanzeige ist immer dann zu erstatten, wenn in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer entlassen werden. In dem Betrieb der Arbeitgeberin waren 19 Arbeitnehmer sowie ein Geschäftsführer und eine Praktikantin tätig. Der EuGH musste jetzt entscheiden, ob der Geschäftsführer und die Praktikantin Arbeitnehmer im Sinne der unionsrechtlichen Massenentlassungs-Richtlinie sind und deswegen eine Massenentlassungsanzeige erfolgen musste.

Der EuGH stellt hierbei darauf ab, dass der Begriff des „Arbeitnehmers“ innerhalb der Unionsordnung autonom und einheitlich auszulegen sei. Der Begriff sei nach objektiven Kriterien zu definieren. Arbeitnehmer ist danach eine Person, die „während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält“. Nicht maßgebend sei die Art der Rechtsbeziehung zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft. Zu prüfen sei aber, ob ein Unterordnungsverhältnis vorläge. Hierbei prüfte der EuGH die Bedingungen, unter denen der Geschäftsführer seine Leistungen erbringt, denn auch ein Mitglied eines Leitungsorgans kann so bestellt werden, dass die ihm übertragenen Aufgaben, der Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, der Umfang der Befugnisse des Mitgliedes und die Kontrolle, der er innerhalb der Gesellschaft unterliegt, so wie die Umstände, unter denen er abberufen werden kann, für ein Unterordnungsverhältnis sprechen. Der EuGH kam in dem zu entscheidenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsführer Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie ist. Er konnte jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden. Er unterlag bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Weisung und der Aufsicht der Gesellschaft sowie den von ihr insoweit auferlegten Vorgaben und Beschränkungen. Außerdem hatte er keine eigenen Gesellschaftsanteile. Da der Geschäftsführer für seine Leistungen eine Vergütung erhielt, war er nach der unionsrechtlichen Definition als Arbeitnehmer anzusehen.

Im Hinblick auf die Praktikantin wies der EuGH darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung auch Personen, die einen Vorbereitungsdienst ableisten oder in einem Beruf Ausbildungszeiten absolvieren, Arbeitnehmer sein können. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Zeiten unter den Bedingungen einer tatsächlichen oder echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis für einen Arbeitgeber nach dessen Weisungen absolviert werden. Nicht maßgebend ist, so der EuGH, wer die Tätigkeit vergütet. Es ist also nicht maßgebend, ob die Vergütung über die Bundesagentur für Arbeit erfolgt. Es ist auch nicht maßgebend, in welchem Rahmen die Tätigkeit erfolgt, also ob es sich um ein Praktikantenverhältnis handelt.

Praxisempfehlung

Der unionsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers wird sehr weit gefasst. Sowohl für die Mutterschutz-Richtlinie als auch für die Massenentlassungs-Richtlinie hat der EuGH mittlerweile entschieden, dass Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer anzusehen sind. Ob Fremdgeschäftsführer auch unter die Regelungen des deutschen Kündigungsschutzgesetzes fallen, ist noch nicht entschieden. Eine Entscheidung hierzu bleibt abzuwarten.

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Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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