Muss ein Berufungsgericht, wenn es die Ausführungen eines Sachverständigen anders würdigen möchte, den bereits erstinstanzlich angehörten Sachverständigen erneut befragen?
26 November

Muss ein Berufungsgericht, wenn es die Ausführungen eines Sachverständigen anders würdigen möchte, den bereits erstinstanzlich angehörten Sachverständigen erneut befragen?

BGH, Beschluss vom 18.07.2018, VII ZR 30/16

Das Praxisproblem

Das erstinstanzliche Gericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und entscheidet nach Anhörung des Gutachters aufgrund des eingeholten Gutachtens.

Auch das Berufungsgericht in zweiter Instanz entscheidet aufgrund des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens, würdigt es insoweit jedoch anders als das erstinstanzliche Gericht, ohne dass es den Gutachter hierzu erneut befragt.

 

Die Entscheidung

In dem vorliegenden Beschluss des BGH wurde ein Architekt mit Planungsleistungen im Rahmen eines Sanierungs- und Umbauvorhabens eines historischen Gebäudes beauftragt. Zudem erhielt ein Statiker den Auftrag, verschiedene statische Berechnungen durchzuführen.

Im Rahmen des Umbaus sollten insbesondere zwei Garagenräume in das Kellergeschoss des Hinterhauses eingebaut werden. Hierzu war es erforderlich, dass die Kellerwand durchbrochen wird. Die Arbeiten wurden von einem Bauunternehmen ausgeführt, wobei sich dieses zahlreicher Nachunternehmer bediente.

Eines der Nachunternehmen durchstieß für den Einbau der Garagenräume die Kelleraußenwand mit sechs Kernbohrungen. Mehrere Tage nach Fertigstellung der Bohrlöcher schob das Hauptunternehmen jeweils einen Doppel-T-Träger durch die Bohrlöcher und legte diese auf Baustützen auf. Kurz nachdem die Doppel-T-Träger eingeführt wurden, stützte jedoch die Außenwand des Seitenhauses einschließlich der Geschossdecken und des Dachstuhls ein.

Dem Vorgehen lagen keine planerischen Vorgaben des Architekten zugrunde. Lediglich der Statiker hatte berechnet, welche Tragkraft die Doppel-T-Träger haben müssten, damit sie das Gewicht der Gebäudeaußenwand tragen können.

Der Bauherr nahm daraufhin sowohl den Architekten als auch den Statiker auf Schadensersatz in Anspruch. Das erstinstanzliche Gericht verurteilte den Architekten zu einer Zahlung von 197.603,07 € nebst Zinsen sowie den Architekten und den Statiker als Gesamtschuldner zur Zahlung weiterer 98.801,53 € nebst Zinsen.

Nach Anhörung des Sachverständigen hatte das Gericht die Pflichtverletzung des Statikers darin gesehen, dass dieser nicht darauf hingewiesen hat, dass das Auflegen von Doppel-T-Trägern auf Baustützen in diesem Falle nicht möglich war.

Das Berufungsgericht dahingegen wies die Klage des Bauherrn ab. Nach seiner Auffassung folgt aus dem Sachverständigengutachten, dass der Einsturz des Gebäudes einzig durch ein von dem Nachunternehmer angewendetes, ungeeignetes Bohrverfahren verursacht wurde. Auf die erstinstanzlich festgestellte Pflichtverletzung kam es nach Auffassung des Berufungsgerichtes sodann nicht mehr an. Diese Neubewertung des Sachverständigengutachtens nahm das Berufungsgericht jedoch vor, ohne den Gutachter erneut anzuhören.

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass ein Berufungsgericht den schon erstinstanzlich angehörten Sachverständigen erneut befragen muss, wenn es die Ausführungen des Sachverständigen anders würdigen möchte als die Vorinstanz. Nach Auffassung des BGH gelte dies jedenfalls dann, wenn das Gericht keine Umstände darlegt, aus denen sich ergibt, dass es ausnahmsweise aufgrund des Akteninhaltes zu einem anderen Ergebnis kommen durfte als das erstinstanzliche Gericht.

 

Praxisempfehlung

In einem Berufungsverfahren ist stets darauf zu achten, dass der Sachverständige erneut befragt wird, wenn ersichtlich ist, dass das Berufungsgericht das erstinstanzlich erstellte Gutachten anders werten möchte.

Erfolgt eine derartige Befragung nicht, ist das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

 

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