Nachbarrecht – Notleitungsrecht auch durch ein Gebäude?
21 Juni

Nachbarrecht – Notleitungsrecht auch durch ein Gebäude?

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.01.2018, Az. V ZR 47/17

Das Praxisproblem

Es kann vorkommen, dass einem Gebäude aufgrund einer nachträglichen Grundstücksteilung plötzlich der Zugang zur öffentlichen Straße fehlt.

Befinden sich die Versorgungsleitungen aber auf dem vorderliegenden Grundstück, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen der dortige Eigentümer die Durchleitung weiter dulden muss.

 

Die Entscheidung

Das Grundstück des Beklagten ist in voller Breite mit einem Wohnhaus bebaut. Die Ver- und Entsorgungsleitungen zu den Grundstücken der Kläger verlaufen seit der Errichtung der Gebäude in den Jahren 1900 bis 1910 von der öffentlichen Straße durch den Keller dieses Wohnhauses. Dinglich abgesicherte Leitungsrechte bestehen insoweit nicht.

Die Kläger verlangen von dem Beklagten, das auf seinem Grundstück befindliche Leitungszubehör ihrer Grundstücke sowie dessen notwendige Unterhaltung und erforderlichenfalls Neuanlage zu dulden.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte analog § 917 Abs. 1 BGB zur Duldung der Ver- und Entsorgungsleitungen verpflichtet, weil den Grundstücken der Kläger eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlt. Duldungspflichtig sei wegen der vorangegangenen Grundstücksteilung nach § 918 Abs. 2 BGB allein der Beklagte als Eigentümer des Grundstücksteils, über den die Verbindung bisher stattgefunden habe.

Inhalt des Notleitungsrechts könne es auch sein, Leitungen durch ein Gebäude zu legen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn Leitungen nur durch ein Gebäude geführt werden könnten. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die jegliche Inanspruchnahme von Wohngebäuden verbiete, finde sich nicht. Es gebe auch keine Gründe, § 917 Abs. 1 BGB einschränkend auszulegen. Die Belastung, die von durch ein Gebäude verlaufenden Leitungen ausgehe, sei grundsätzlich gering.

Diese Auffassung hält einer Überprüfung durch den Bundesgerichtshof in vollem Umfang stand. Der Bundesgerichtshof ergänzt, dass im Rahmen der Ausübung eines Notleitungsrechts allerdings der Verlauf zu wählen ist, der für den Duldungspflichtigen die geringstmögliche Belastung darstellt. Die inhaltliche Beschränkung des Eigentumsrechts des Nachbarn kann nämlich nur so weit reichen, wie sie zur Behebung der Notlage des gefangenen Grundstücks erforderlich ist. Auch dies war im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.

 

Die Praxisempfehlung

Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass das vorderliegende Grundstück über die ganze Breite bebaut war. Deswegen konnte der andere Eigentümer auch eine Leitungsführung durch das Gebäude verlangen.

Historische Leitungsführungen aber auch Geh- und Fahrrechte über fremde Grundstücke können immer wieder zu nachbarrechtlichen Auseinandersetzungen führen. Sind Grunddienstbarkeiten und öffentlich-rechtliche Baulasten im ausreichenden Umfang eingetragen, können Streitigkeiten im Vorfeld vermieden werden. Aber auch dann, wenn solche nicht bestehen, sind Sie als betroffener Eigentümer – gleich auf welcher Seite – nicht schutzlos gestellt, denn Notleitungsrecht und Rücksichtnahmegebot sind immer gegeneinander abzuwägen.

Oftmals hilft ein sachliches Gespräch mit dem Nachbarn. Kommt es gleichwohl zu keiner Einigung, beraten wir Sie gerne über die erforderlichen rechtlichen Schritte.

 

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