Ist eine Kündigung inzwischen bei fehlender Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam?
16 März

Ist eine Kündigung inzwischen bei fehlender Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam?

Beschluss des Bundesrates vom 16.12.2016

Stärkung der Rechte schwerbehinderter Menschen - Bundesteilhabegesetz

Das Praxisproblem

Der Bundesrat hat am 16.12.2016, zwei Wochen nach der Zustimmung des Bundestages, ebenfalls dem neuen Bundesteilhabegesetz zugestimmt. Das soll Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung und bessere Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen. Schwerpunkt des Gesetzes ist die in Art. 1 geregelte Eingliederungshilfe. Sie wird aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe herausgelöst und in das reformierte SGB IX als neuer Teil 2 integriert.

Das Gesetz sieht ein gestuftes Inkrafttreten und Außerkrafttreten der diversen Neuregelungen und Abänderungen vor.

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde in § 95 Abs. 2 SGB IX ein neuer Satz 3 eingefügt. Dieser lautet:

„Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“

 

Satz 1 des § 95 Abs. 2 SGB IX lautet:

„Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.“

Mit der Einführung des Satzes 3 werden die Rechtsfolgen einer unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach Satz 1 für den Bereich der Kündigungen geregelt. Ziel des Gesetzgebers ist es, seine rechtspolitische Korrekturaufgabe wahrzunehmen. Die Verletzung des Unterrichtungs- und Anhörungsrechtes der Schwerbehindertenvertretung aus § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX soll nicht ohne arbeitsrechtliche Sanktionen für den rechtsbrechenden Arbeitgeber bleiben.

Die Neuregelung trat mit Wirkung zum 01.01.2017 in Kraft.

 

Praktische Auswirkung der Neuregelung

Aufgrund der Einfügung des Satzes 3 in § 95 Abs. 2 SGB IX ist vor Ausspruch jeder Kündigung, soweit vorhanden, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Erfolgt die Beteiligung nicht, ist die Kündigung unwirksam. Weitere Regelungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. Es ergeben sich daher zahlreiche noch nicht geklärte Fragen:

  • Ist dem Arbeitgeber eine tatsächlich vorliegende Schwerbehinderung nicht bekannt und spricht er eine Kündigung ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung aus, ist auch diese Kündigung unwirksam? Muss er die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nachholen, wenn der Arbeitnehmer ihm die Schwerbehinderung mitteilt?
  • Unklar ist auch, welche Fristen der Arbeitgeber nach der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu beachten hat. Der neu eingefügte Satz 3 verweist nicht auf die Regelung in § 102 BetrVG. Eine Analogie kann nicht ohne Weiteres angenommen werden.
  • Auch wenn dies nicht ausdrücklich im Gesetz steht, wird teilweise gefordert, dass das Beteiligungsverfahren vor dem Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt erfolgen muss. Rechtssicher ist das aber nicht.
  • Unklar ist auch, ob das Beteiligungsverfahren parallel mit der Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG erfolgen kann. In diesem Zusammenhang ist auch unklar, ob der Schwerbehindertenvertretung bzw. dem Betriebsrat die jeweilige Stellungnahme des anderen Gremiums mitzuteilen ist.

 

Da die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Ordnungswidrigkeit darstellt, stellt auch die fehlende Beteiligung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 10.000,00 € geahndet werden kann.

 

Empfehlung

Aufgrund der Gesetzesänderung ist vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Die Beteiligung hat nach derzeitiger allgemeiner Auffassung zu erfolgen bevor ein Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen beim Integrationsamt gestellt wird. Da andere Anhaltspunkte fehlen, sollte die Beteiligung analog der Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 102 BetrVG erfolgen. Ob dies jedoch im Ergebnis einer gerichtlichen Überprüfung standhält, kann derzeit nicht beantwortet werden.

 

Wir stehen Ihnen gerne jederzeit beratend zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!

 

Beate Puplick  Fachanwältin für Arbeitsrecht

Fachanwältin für Familienrecht Wirtschaftsmediatorin

Cordula Zimmermann Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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