01 Januar

Diskriminierung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses – 4 Fälle aus der Praxis

Damals war nicht absehbar, welche praktische Bedeutung das Gesetz tatsächlich erlangen wird. Was ist aus den Befürchtungen und Bedenken der Arbeitgeber und Unternehmer bezogen auf das AGG geworden?
 

  1. Welche Möglichkeit hat der Arbeitgeber, wenn sich erst im Nachhinein herausstellt, dass seine zulässige Frage nach einer Behinderung in dem Bewerbungsgespräch von dem Arbeitnehmer wahrheitswidrig beantwortet wurde?

  2. Ist es als Diskriminierung anzusehen, wenn der Arbeitergeber eine Arbeitnehmerin auffordert, an einem Deutschkurs teilzunehmen?

  3. Eine schwangere Frau wurde durch den Arbeitgeber bei einer Beförderung nicht berücksichtigt, vielmehr wurde ihr männlicher Kollege befördert und ihr mitgeteilt, sie „solle sich doch auf Ihr Kind freuen“. Ist dies eine Diskriminierung im Sinne des AGG?

  4. Wann ist die Frage nach einer Behinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig?

 

II. Die Entscheidungen

1. Die wahrheitswidrige Beantwortung nach der Schwerbehinderung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied durch Urteil vom 07.07.2011- 2 AZR 396/10-, dass die wahrheitswidrige Beantwortung der zulässigerweise gestellten Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung den Arbeitgeber dazu berechtigen kann, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.


Voraussetzung ist, dass die Täuschung des Bewerbers und späteren Arbeitnehmers für den Abschluss des Arbeitsvertrages für den Arbeitgeber ursächlich war. Wirkt sich diese Täuschung im Arbeitsverhältnis weiterhin aus, kann zudem eine Kündigung gerechtfertigt sein.

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte die Arbeitnehmerin bei der Einstellung die Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint.

Allerdings war in diesem Fall die Täuschung nicht ursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrages, da der Arbeitgeber im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ausdrücklich erklärt hatte, er hätte die Arbeitnehmerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet hätte.
Da der Arbeitgeber in diesem Fall damit selbst vorgetragen hatte, dass er auch im Fall der richtigen Beantwortung die Arbeitnehmerin eingestellt hätte, fehlte es an der Voraussetzung der Kausalität.
Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages oder eine Kündigung des Arbeitnehmers war daher in diesem Fall nach der Entscheidung des BAG nicht berechtigt.

2. Die abgelehnte Sprachkursteilnahme
Das Bundesarbeitsgericht hatte einen Rechtsstreit zu entscheiden, in welchem der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin aufgefordert hatte, an einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu erwerben.


Die Klägerin (Arbeitnehmerin) war seit mehreren Jahren mit einer Unterbrechung in dem von der Beklagten (Arbeitgeberin) bewirtschafteten Schwimmbad beschäftigt.
Zunächst war sie als Reinigungskraft eingesetzt, nachfolgend wurde ihr zusätzlich Kassenbefugnis erteilt und sie arbeitete auch als Vertretung der Kassenkräfte.

Im Frühjahr 2006 forderte die Beklagte die Klägerin auf, zur Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse auf eigene Kosten und außerhalb der Arbeitszeit einen Deutschkurs zu absolvieren. Wegen der Weigerung der Klägerin mahnte die Beklagte diese ab.

Die Klägerin verlangte daraufhin wegen Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft eine Entschädigung i.H.v.15.000, 00 €.

Wie bereits die Vorinstanzen wies das Bundesarbeitsgericht die Klage mit Urteil vom 22.06.2011 - 8 AZR 48/10 ab.
Nach der Begründung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber das Absolvieren von Sprachkursen verlangen, wenn die Arbeitsaufgabe die Beherrschung der entsprechenden Sprache erfordert. Die Aufforderung, diese auf eigene Kosten und außerhalb der Arbeitszeit zu tun, könne zwar im Einzelfall gegen den Arbeitsvertrag oder Regel eines Tarifvertrages stoßen.
Ein solcher Verstoß stelle jedoch keine unzulässige Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft dar, welcher Entschädigungsansprüche auslöse.

3. Keine Beförderung der schwangeren Mitarbeiterin
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sah in seiner Entscheidung mit Urteil vom 28.06.2011 - 3 SA 917/11 in einer Nichtbeförderung einer Arbeitnehmerin eine geschlechtsspezifische Benachteiligung.


Die Arbeitnehmerin war im Bereich International Marketing als eine von drei Abteilungsleitern beschäftigt. Anstelle der schwangeren Arbeitnehmerin besetzte der Arbeitergeber die Stelle des Vorgesetzten mit einem Mann und äußerte bei Bekanntgabe dieser Entscheidung, die Klägerin „solle sich doch auf Ihr Kind freuen“.

Der Arbeitgeber behauptete, für die getroffene Auswahl sprachen sachliche Gründe.

4. Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied durch aktuelles Urteil vom 16.02.2012- 6 AZR 553/10-, dass die Frage nach der Schwerbehinderung jedenfalls nach sechs Monaten und damit nach Erwerb des Sonderkündigungsschutzes durch den Arbeitgeber zulässig sei.

Dies gelte insbesondere zur Vorbereitung beabsichtigter Kündigungen.

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer die Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint.
In dem Kündigungsschutzverfahren hatte er sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts berufen.

Zu Unrecht entschied das BAG: infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der zulässigerweise gestellten Frage nach der Schwerbehinderung könne er sich nicht auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamts berufen.

III. Die Praxisempfehlung
Sowohl bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses beispielsweise im Rahmen des Bewerbungsgesprächs, während des Arbeitsverhältnisses oder bei Maßnahmen wie Versetzung, Beförderung etc. ist das Benachteiligungsverbot des AGG zu beachten.


Die befürchtete „Klagewelle“ von Schadensersatzklagen durch Arbeitnehmer ist zwar ausgeblieben, trotzdem können im Einzelfall Schadensersatzansprüche auf den Arbeitgeber zukommen, wenn das AGG nicht hinreichend beachtet wird.

Die Schwierigkeit für den Arbeitsgeber besteht insbesondere in § 22 AGG. Diese Regelung gewährt dem potentiellen Benachteiligten eine Beweiserleichterung, so dass dieser lediglich Indizien darlegen muss, welche auf eine Benachteiligung schließen lassen.

Der Arbeitgeber hat dann die volle Beweislast für das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot zu tragen, was dem Arbeitgeber in dem vorgenannten Fall der schwangeren Mitarbeiterin nicht gelungen ist.

Sofern der Arbeitgeber Gründe, beispielsweise bei der Ablehnung eines Bewerbers, Aufforderung zu einer bestimmten Maßnahme etc. anführt, sollten diese stets ausschließlich sachliche Kriterien erfüllen.

Zuvor ist zu überprüfen, inwieweit allein die Frage, beispielsweise nach einer Schwerbehinderung bereits auf die Möglichkeit einer Benachteiligung hinweist oder ob diese Frage durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.
Dies könnte der Fall sein, wenn eine bestimmte Behinderung mit der Art der Tätigkeit nicht vereinbar ist.

Sowohl im Rahmen des Bewerbungsgesprächs kann ein fester Fragenkatalog helfen, als auch bei einer Beförderungsmaßnahme das Vorgehen nach bestimmten Kriterien, welche im Hinblick auf ihre Sachlichkeit notfalls überprüft werden können.


Das AGG ist bereits bei Bewerbungen von potentiellen Mitarbeitern zu berücksichtigen, darüber hinaus können sich jedoch auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses -wie unsere Praxisfälle zeigen- Fragen in Bezug auf das AGG ergeben.

Wir unterstützen Sie bei Fragen sowohl in der Bewerbungsphase und Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, als auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses sowie in einer Beendigungsphase. 

Unser Team Arbeit und Recht steht Ihnen jederzeit beratend zur Verfügung.
Sprechen Sie uns an!

Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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