01 Februar

Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Praxisproblem:

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu.


Sie ist der wichtigste Beweis für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist für den Arbeitnehmer das grundsätzlich erforderliche, aber auch ausreichende Beweismittel für seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

In der Praxis ist es jedoch nicht selten, dass der Arbeitnehmer „krankfeiert“, nachdem er beispielsweise seine Kündigung, eine Abmahnung oder eine Ablehnung seines Urlaubsantrages erhalten hat.

Will der Arbeitgeber Missbrauchsfällen entgegenwirken, muss er im Entgeltfortzahlungsprozess Umstände darlegen und beweisen, die Bedenken gegen die ärztliche Bescheinigung und damit gegen die attestierte Arbeitsunfähigkeit begründen.

Die Rechtsprechung:

„Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene und insoweit gewichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Um diesen Beweiswert zu erschüttern, muss der Arbeitgeber Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.“
(vgl. Urteil des LAG Hamm vom 28.10.2009, Az. 3 Sa 579/09; Urteil des LAG Düsseldorf vom03.09.2009, Az. 11 Sa 410/09; BAG, Urteil vom 19.02.1997)

Die Rechtsprechung weist dem Arbeitgeber bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit den dafür im Sozialgesetzbuch vorgezeichneten Weg zu.
Das bedeutet, dass der medizinische Dienst der Krankenversicherung einzuschalten ist, welcher eine Arbeitsunfähigkeit zu begutachten hat.
Diese Verpflichtung besteht nicht nur zur Abwendung von Krankengeldansprüchen gegen die Krankenkasse sondern auch auf Verlangen des Arbeitgebers, wenn dieser Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit darlegt.

Nach § 275 Abs. 1 SGB V. sind die Krankenkassen bei Arbeitsunfähigkeit verpflichtet, zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen.

Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit können auf medizinischen, rechtlichen oder sonstigen Ursachen beruhen.
In der Richtlinie über die Zusammenarbeit mit dem medizinischen Dienst, die die Spitzenverbände der Krankenkassen am 27.08.1990 erlassen haben, werden Umstände aufgeführt, die solche Zweifel hervorrufen können:

  • Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit durch den erkrankten Arbeitnehmer
  • Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach innerbetrieblichen Differenzen oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • widersprüchliches Verhalten des erkrankten Arbeitnehmers im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild
  • erneute Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch einen anderen Arzt nach Feststellung der Arbeitsfähigkeit durch den bisherigen Arzt
  • häufige Arztwechsel
  • häufige Arbeitsunfähigkeit wegen wechselnder leichter Befindlichkeitsstörungen
  • Zeifel am Vorliegen einer Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne
  • regelmäßige Arbeitsaufnahme vor der ersten Einladung zur Begutachtung durch den medizinischen Dienst
  • häufiger Auffälligkeit des Arztes bei der Attestierung von Arbeitsunfähigkeit
  • Attestierung von Arbeitsunfähigkeit außerhalb des Fachgebietes des Arztes
  • Diagnose und Befundbericht stehen nicht im Einklang mit der bescheinigten voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit
  • fehlender, unzureichender Befundbericht
  • Befundbericht entspricht nicht der Diagnose
  • die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes enthält keine eindeutige Diagnose
Die Praxisempfehlung:

Einige der aufgeführten Ursachen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, sind dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugänglich.
 
Kann der Arbeitgeber jedoch aufgrund der Umstände im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung darlegen, sollte er den medizinischen Dienst der Kranken versicherung einschalten und den Arbeitnehmer dort begutachten lassen.
 
Kann der Arbeitgeber solche Umstände darlegen und beweisen, genügt der Arbeitnehmer nicht mehr allein durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seiner Nachweispflicht.
Er muss dann vielmehr weitere Umstände vortragen und Beweismittel vorlegen, aus denen sich eine Arbeitsunfähigkeit ergibt.
 
 
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Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht
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