11 März

Genießen stark Übergewichtige (Adipöse) Diskriminierungsschutz weil sie behindert sind?

EuGH, Urteil vom 18.12.2014, Az. C-354/13

Das Praxisproblem

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Erwachsene mit einem Body-Maß-Index (BMI) über 25 als übergewichtig ein.

Mit einem BMI über 31 sind Erwachsene adipös. Das bedeutet konkret bei einem 1,80 m großen Erwachsenen, dass dieser ab 81 kg übergewichtig und mit 101 kg bereits adipös ist.

Weitere aktuelle Studien haben ergeben, dass das Körpergewicht einer Person, letztendlich also der BMI, sowohl Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung, als auch auf die Wahrscheinlichkeit, ob ein Erwachsener überhaupt eine Stelle findet, hat. Bei Frauen sinkt die Vergütung mit steigendem BMI. Männer hingegen verdienen am meisten bei einem BMI von 23 aufwärts bis in den weit übergewichtigen Bereich.

Die Entscheidung

Herr Kaltoft lebt in Dänemark. Er war seit dem 01.11.1996 in Billund bei der Kommune als Tagesvater angestellt. Er betreute Kinder bei sich zuhause. Während der gesamten Beschäftigungszeit war er adipös im Sinne der Definition der WHO. Er versuchte abzunehmen. Die Kommune gewährte ihm sogar im Jahr 2008 ein Jahr lang einen finanziellen Zuschuss zur Teilnahme an Sportkursen. Dies half jedoch nichts. Herr Kaltoft blieb adipös.

Im Jahr 2010 verzeichnete die Kommune einen Rückgang der Anzahl der zu betreuenden Kinder. Einem Tagesbetreuer musste deswegen aus diesen betrieblichen Gründen gekündigt werden. Die Kommune entschied sich für Herrn Kaltoft.

Die Gewerkschaft erhob für Herrn Kaltoft gegen diese Kündigung eine Klage und rügte, dass Herr Kaltoft mit dieser Kündigung diskriminiert werde. Das Gericht setzte das Verfahren aus und legte den Sachverhalt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Es fragte an, ob das Unionsrecht so auszulegen sei, dass die Diskriminierung wegen Adipositas als solche in Beschäftigung und Beruf verboten sei.

Der EuGH beschäftigte sich intensiv in seiner oben zitierten Entscheidung vom 18.12.2014 mit der Richtlinie (RL) 2000/78/EG. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Adipositas als solche keine Behinderung im Sinne der Richtlinie ist. Dagegen fällt eine Adipositas eines Arbeitnehmers unter den Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie, so der EuGH, „wenn sie unter bestimmten Umständen eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die ihn (den Arbeitnehmer) in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern können, und wenn dieser Einschränkung von langer Dauer ist".

Im konkreten Fall hat der EuGH das Verfahren an das vorlegende Gericht zurücküberwiesen. Das dänische Gericht muss jetzt prüfen, ob die Adipositas von Herrn Kaltoft zu einer Einschränkung bei der Ausführung seiner Arbeit geführt habe. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Herr Kaltoft seit seiner Einstellung, also insgesamt 15 Jahre lang, seine Tätigkeit mit Adipositas verrichtet hat.

Die Praxisempfehlung

  1. Auch hohes Übergewicht, also eine Adipositas, kann nach der Auffassung des EuGH eine Behinderung darstellen. Voraussetzung ist aber, dass mit der Adipositas physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen einhergehen, die es dem Arbeitnehmer nicht ermöglichen, auf Dauer voll am Berufsleben teilzunehmen. Damit ist also nicht jeder Übergewichtige behindert.
     
  2. Im Rahmen der Kündigung stark übergewichtiger Menschen sollte jedoch vorab geprüft werden, ob nach der oben dargestellten Definition eine Behinderung vorliegen kann.


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Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Cordula Zimmermann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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