Darf zur Bestimmung der regelmäßig vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit auf das gelebte Rechtsverhältnis abgestellt werden, wenn eine vertragliche Vereinbarung oder andere Anhaltspunkte fehlen?
16 März

Darf zur Bestimmung der regelmäßig vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit auf das gelebte Rechtsverhältnis abgestellt werden, wenn eine vertragliche Vereinbarung oder andere Anhaltspunkte fehlen?

Wird zwischen den Parteien in einem Arbeitsvertrag nicht klar geregelt, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeitsleistungen zu erbringen hat, ist aus den sonstigen Umständen des Arbeitsverhältnisses die Arbeitszeit zu ermitteln.

BAG, Urteil vom 02.11.2016, Az. 10 AZR 419/15

Das Praxisproblem

 

Ist die vom Arbeitnehmer geschuldete konkrete Arbeitszeit nicht vertraglich geregelt, wurde unter anderem auf seine bisherige tatsächliche Arbeitszeit abgestellt. Unklar war bislang, auf welchen Bezugszeitraum abzustellen ist.

 

Die Entscheidung

 

Der klagende Arbeitnehmer arbeitete seit dem 01.09.2001 für die beklagte Arbeitgeberin als Cutter. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag lag nicht vor. Die Beklagte war zunächst von einem freien Dienstverhältnis mit dem Kläger ausgegangen. Die jährlichen Einsatztage des Klägers schwankten zwischen 106 Tagen im Jahr 2004 und 130 Tagen im Jahr 2013. Nachdem zwischen den Parteien durch arbeitsgerichtliche Entscheidung festgestellt worden war, dass ein Arbeitsverhältnis besteht, war die Frage der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit noch streitig.

Der Kläger ermittelte aus dem Zeitraum von 2011 bis 2013 seine durchschnittliche Arbeitszeit. Das BAG legte jedoch zur Ermittlung der Arbeitszeit den Zeitraum der Jahre 2004 bis 2013 zugrunde.

Das BAG stellt auf die „Referenzmethode“ ab.

Besteht zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis, haben die Parteien aber die konkrete vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit nicht ausdrücklich vertraglich geregelt, ist zu prüfen, ob andere Anhaltspunkte vorliegen, die Arbeitszeit zu bestimmen. So können z.B. Dienstpläne oder Ähnliches herangezogen werden. Fehlt es an solchen anderen Anhaltspunkten für die Bestimmung der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit, kann auf das tatsächlich gelebte Arbeitsverhältnis abgestellt werden. Das BAG ist der Auffassung, dass das gelebte Arbeitsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens anzusehen ist.

Welcher Zeitraum für die Ermittlung der Arbeitszeit heranzuziehen ist, bestimmt sich nach der Referenzmethode. Die Referenzmethode entspricht nach der Auffassung des BAG am ehesten dem durch tatsächliche Arbeitsleistung geäußerten Parteiwillen. Dies ist insbesondere immer dann anzunehmen, wenn der Feststellung des Parteiwillens eine mehrjährig übereinstimmende und ohne entgegenstehende Bekundungen oder Weigerungen geübte Vertragspraxis zugrunde liegt.

Dabei ist der Referenzzeitraum so zu bemessen, dass zufällige Ergebnisse ausgeschlossen sind. Es ist im Übrigen der aktuelle Stand des Vertragsverhältnisses der Parteien wiederzugeben. Ausreißer in der Arbeitszeit, z.B. wegen zusätzlicher Urlaubsvertretungen, sind also nicht zu berücksichtigen, wenn die Urlaubsvertretung nicht regelmäßig anfällt. Wurde über einen längeren Zeitraum die Arbeitszeit verringert oder verkürzt ist der letzte Stand bei der Bemessung des Referenzzeitraumes zu berücksichtigen. Durchschnittliche krankheitsbedingte Fehlzeiten als auch Urlaub sind einzubeziehen. Das BAG führt in seiner Entscheidung ausdrücklich aus, dass es keine feste Regel gibt, welcher Zeitraum zur Bemessung des Referenzzeitraumes heranzuziehen ist.

Das BAG vertritt in seiner Entscheidung vom 02.11.2016 die Auffassung, dass in dem konkreten Fall der vom Kläger herangezogene Referenzzeitraum von 2011 bis 2013 nicht den tatsächlichen Parteiwillen widerspiegele. Denn in dieser Zeit hat der Kläger mehr als sonst üblich gearbeitet. Deswegen weitete das BAG den Referenzzeitraum auf die Beschäftigungszeit ab 2004 aus.

 

Praxisempfehlung

 

Die Arbeitsvertragsbedingungen sind schriftlich festzuhalten und in einem Arbeitsvertrag zu dokumentieren. Etwaige Änderungen der Vertragsbedingungen sollten immer als schriftliche Vertragsergänzung dokumentiert werden.

Ist die Arbeitszeit zwischen den Parteien tatsächlich nicht schriftlich vereinbart worden, muss zur Ermittlung der vom Arbeitnehmer geschuldeten tatsächlichen Arbeitszeit nicht nur auf den Durchschnitt der letzten drei Jahre abgestellt werden. Es kann als Referenzzeitraum gegebenenfalls auch die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses herangezogen werden.

 

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Beate Puplick  Fachanwältin für Arbeitsrecht

Fachanwältin für Familienrecht Wirtschaftsmediatorin

Cordula Zimmermann Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

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