Insolvenzrecht | Insolvenzanfechtung: Kann ein Insolvenzverwalter die in den letzten zehn Jahren vor einem Insolvenzantrag durch den Schuldner geleisteten Zahlungen zurückfordern?
20 Februar

Insolvenzrecht | Insolvenzanfechtung: Kann ein Insolvenzverwalter die in den letzten zehn Jahren vor einem Insolvenzantrag durch den Schuldner geleisteten Zahlungen zurückfordern?

BGH, Urteil vom 17.11.2016, Az. IX ZR 65/15

Das Praxisproblem

Die Insolvenz eines Kunden ist für einen Unternehmer bereits an sich ein einschneidendes Ereignis. Dramatisch wird die Situation jedoch, wenn sich der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Kunden meldet und die Anfechtung von lange zurückliegenden Zahlungen des Kunden erklärt und deren Rückzahlung verlangt.

Regelmäßig werden dabei Zahlungen zurückgefordert, die bis zu 10 Jahre vor der Stellung des Insolvenzantrags durch die Schuldnerin erfolgt sind.

Gestützt werden diese Forderungen auf § 133 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO), dieser lautet:

  • 133 Vorsätzliche Benachteiligung

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

 

Die Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 17.11.2016 (Az. IX ZR 65/11) verkürzt wiedergegeben mit folgendem Sachverhalt befasst:

Ein Unternehmen bezieht in einer seit 2003 bestehenden Geschäftsbeziehung Möbelkomponenten von der Schuldnerin.

In den Jahren 2004 und 2005 gerät die Schuldnerin in eine wirtschaftliche Schieflage. Das Finanzamt kündigt einen Insolvenzantrag an. Dieser wird durch einen Teilforderungsverzicht der Hausbank und einiger Lieferanten abgewendet. Zugleich erwirbt der Hauptlieferant eine Mehrheitsbeteiligung an der Schuldnerin.

Auch die Beklagte beteiligt sich an der Sanierung, nachdem Zahlungsrückstände aufgelaufen sind. Ab dem Jahr 2006 ist vereinbart, dass Lieferungen erst im Zusammenhang mit Neubestellungen zu bezahlen sind. Nachdem im Dezember 2007 von der Schuldnerin einmalig alle Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin bezahlt sind, erreichen diese nachfolgend wieder fünfstellige Beträge.

Im April 2010 stellt die Schuldnerin einen Insolvenzantrag, das Insolvenzverfahren wird im Juli 2010 eröffnet.

Der Insolvenzverwalter fordert von dem Beklagten rund 85.000,- € an Zahlungen zurück, welche die Schuldnerin ab Juli 2008 an die Beklagte geleistet hat.

Zu Recht, wie der Bundesgerichtshof urteilt.

Sie müssen als Unternehmer mit einer Rückforderung durch den Insolvenzverwalter rechnen, wenn

(1.) die Zahlung durch den Schuldner mit Benachteiligungsabsicht erfolgt und

(2.) der Gläubiger zum Zeitpunkt der Zahlung von der Benachteiligungsabsicht Kenntnis hat.

Der Schuldner handelt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH mit Benachteiligungsabsicht, wenn er bei Vornahme der Zahlung die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg gewollt oder als mutmaßliche Folge erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß der Schuldner, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen.

Eine Zahlungsunfähigkeit liegt – eindeutig – dann vor, wenn der Schuldner seine Zahlungen insgesamt einstellt.

Die Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit wird vermutet, wenn bestimmte Indizien vorliegen, wie:

  • Zahlungsstockungen,
  • Stundungsbitten und nachträgliche Vereinbarungen über Zahlungsmodalitäten,
  • erhebliche Zahlungsrückstände und zwar auch dann, wenn tatsächlich noch beträchtliche Zahlungen geleistet werden,
  • erhebliche Forderungsrückstände, die dazu führen, dass der Schuldner am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operiert.

Unerheblich ist es, wenn die Schuldnerin einmalig alle Verbindlichkeiten gegenüber einer einzelnen Gläubigerin begleicht. Die einmal vorliegende Zahlungsunfähigkeit endet erst dann, wenn die Schuldnerin auch den wesentlichen Teil der übrigen Verbindlichkeiten bedient.

Ein Vorsatz die Gläubiger zu benachteiligen liegt ausnahmsweise dann nicht vor, wenn der Schuldner eine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines eigenen Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat. Dieses liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung im Sinne eines Bargeschäfts unmittelbar ausgetauscht werden. Abschlagszahlungen schließen ein Bargeschäft aus.

 

Die Praxisempfehlung

Achten Sie auf das Zahlungsverhalten Ihrer Kunden. Treten Alarmsignale auf, sollten Sie das Engagement bei dem Kunden sorgfältig prüfen und gegebenenfalls auch zurückfahren. Typische Alarmsignale sind Zahlungsstockungen, Stundungsbitten oder unvollständige Zahlungen – insbesondere nicht vereinbarte Abschlagszahlungen. Sie laufen ansonsten Gefahr, dass bei einer Insolvenz des Kunden Rückforderungen durch den Insolvenzverwalter für lang zurückliegende Zeiträume erfolgen.

 

Gelesen 2286 mal

Wir brauchen Ihre Zustimmung!

Diese Webseite verwendet Google Maps um Kartenmaterial einzubinden. Bitte beachten Sie, dass hierbei Ihre persönlichen Daten erfasst und gesammelt werden können.
Um die Google Maps Karte zu sehen stimmen Sie bitte zu, dass diese vom Google-Server geladen wird. Weitere Informationen finden sie HIER